1 Jahr Schreibatelier Heimberg – ein Dienst, bei dem es nicht nur ums Schreiben geht

Ein Formular ausfüllen, einen amtlichen Brief beantworten, ein Bewerbungsdossier erstellen – Regula Ringgenberg, die Leiterin des Schreibateliers des Vereins connect Heimberg, hilft Klienten und Klientinnen mit solchen Anliegen weiter.

Ein Rückblick mit Interview auf das 1. Jahr seit der Eröffnung im Oktober 2021

Soeben hat eine alleinerziehende Mutter am Schreibtisch im Mehrzweckraum neben der Aula Heimberg Platz genommen und bittet um Unterstützung beim Einreichen eines Gesuches zur Umwandlung ihrer Aufenthaltsbewilligung. Beim Zusammentragen der Eckdaten fliessen plötzlich Tränen, die Nöte der jungen Mutter reichen weit über das Schreiben des Gesuchs hinaus.

Regula Ringgenberg, sind die Anliegen der Schreibatelierklienten immer so herausfordernd?

„Nein, viele brauchen Hilfe beim Verstehen von offiziellen Briefen. Behörden schreiben meist in ihrem Jargon und die Leute sind nicht sicher, was genau gemeint ist oder wie sie reagieren müssen. Andere brauchen Unterstützung beim Ausfüllen eines Formulars, beim Erstellen von einfachen Schreiben oder beim Bewerbungsprozess. Das ist alles kein Problem. Bei komplexeren Sachverhalten wie einer Klage oder einem Asylentscheid, den man anfechten möchte, verweise ich die Leute an Fachpersonen. Es ist also auch wichtig, seine Grenzen zu kennen.“

Für das Gesuch der jungen Mutter zieht die 55-jährige Primarlehrerin das Internet zu Rate und zeigt der Klientin nach Rücksprache mit einer Beraterin des Kompetenzzentrums Integration Thun Oberland eine Liste mit Dokumenten, die für das Gesuch bereitgestellt werden müssen. Sie erklärt die unterschiedlichen Punkte und versucht dabei, auch komplizierte Wörter wie «Betreibungsregisterauszug» einfach verständlich zu machen.

Was motiviert Sie, sich in Ihrer Freizeit mit dem Ausfüllen von Formularen und behördlichen Anliegen zu befassen?

„Bei meiner Arbeit im Schreibatelier lerne ich die unterschiedlichsten Menschen und Lebenssituationen kennen und kann meine Talente nutzen, um jemandem direkt zu helfen. Ich erlebe oft, wie jemand bedrückt zur Tür hereinkommt und kurze Zeit später mit einem Lächeln nach Hause geht. Manchmal ohne dass ich effektiv helfen konnte. Allein die Tatsache, dass ich zuhöre und ihr Anliegen ernstnehme, gibt den Leuten ein gutes Gefühl. Das finde ich faszinierend und bereichernd zugleich.“

Wie malen Sie sich die Zukunft des Schreibateliers aus?

„Seit der Eröffnung des Schreibateliers vor einem Jahr habe ich sehr viel gelernt. Als Laiin bin ich unglaublich dankbar für die zumeist wohlwollende Unterstützung von Behörden und Fachstellen, wenn ich nachfrage. Da das Interesse am Angebot des Schreibateliers stetig wächst, möchte ich das Gelernte gerne an weitere freiwillig Mitarbeitende weitergeben, die Freude daran hätten, Menschen bei Schreibarbeiten des Alltags unkompliziert zu unterstützen.“

Auch die junge Mutter ist sichtlich erleichtert, als sie den Schreibdienst an diesem Abend mit einem ausformulierten Gesuch verlässt. Regula Ringgenberg räumt noch das Zimmer auf und fragt sich bereits, was für spannende Begegnungen sie wohl bei ihrem nächsten Einsatz erwarten.